[in german only]

 

The Violet Steam Experience treiben bereits seit langer Zeit ihr Unwesen in der Musikgeschichte. Im Moment halten sie sich Jahr 1852 auf. Oder 1853. Oder 1867. Oder wann auch immer.
Verschwörungstheoretiker Dr. P., Erfinderin Dr. Stücker, Zigarrenraucher Rainer, Captain Markus Bosser, der nur aufgrund einer bösen Verwechslung in die Sache hineingeraten ist, Lebemann Lars, Showgirl KathaHari und Schlagzeuger Gerwin stehen kurz davor, die Zeitreisemaschine unter Kontrolle zu bringen, die sie sich heimlich angeeignet haben. Unterwegs sind sie mit der Earl of Rochester, dem spektakulärsten Kreuzfahrtluftschiff, das je gebaut worden ist, und besuchen apokalyptische Städte und bedrohliche Sagengestalten.
Und nebenbei machen sie auch noch Musik, hauptsächlich etwas melancholische, und zwar mit Hackbrett und Steam-Orgel, natürlich im schönsten Sonntagstaat. Lord Byron hat sogar extra ein Gedicht geschrieben, das sie vertonen durften.


Steckbriefe

Dr. P
ist als Verschwörungstheoretiker bekannt geworden und hat kontrovers diskutierte Schriften veröffentlicht (u.a. „Die Hand am Sack“). Neigt zum Cholerikertum.

Dr. Bianca „Cinnamon Star“ Stücker
hat ihr Hobby zum Beruf gemacht und arbeitet als berühmte Erfinderin. Konstruiert Maschinen, fürchtet sich nicht vor dem Übersinnlichen. Wurde von Dr. P für viel Geld für sein neuestes Projekt engagiert.

Rainer Janssen
Dr. Ps Vertrauter, stammt aus einer Fleischerdynastie, verfügt über besondere Fähigkeiten. Isst gern Hund, spricht mit sich selbst. Liebt Zigarren der Marke „Tropenschatz“.

Captain Markus Bosser
Luftschiffkapitän, großer Zweifler, innerlich Dr. Ps Widersacher. Gelangte aufgrund einer Verwechslung in Dr. Ps geheime Arbeitsgruppe „DGZRWDR* “, im Folgenden „die geheime Versammlung“ genannt.

* “Das geheime Zeitreisewissen der Regierung“

Lars Kappeler
Ehemaliger Lebemann und Frauenschwarm. Jetzt: Suchender. Hat in Dr. Ps Schriften Halt gefunden und sich für die Teilnahme an seinen Missionen beworben. Ausführender Technikspezialist der AG. 

Gerwin Spalink
Schlagzeuger des Unterhaltungsensembles auf der Earl of Rochester. Geriet versehentlich in die Sache hinein.


Apocalyptic city. Ein dystopisches Märchen

„Verdammt“, zischte Dr. P ungehalten, „das ist der Falsche!“
„Wie, der Falsche“, fragte Lars, der Technikspezialist, arglos.
Über der geheimen Versammlung knisterte eine Glühbirne, es zog und der Boden neigte sich zum wiederholten Mal bedenklich. Der Technikspezialist taumelte. Dr. P hielt sich geistesgegenwärtig an einem verschraubten Hängeschrank im Louis-XVI-Stil fest.
„RAINER, DU KOMIKER“, bellte er, fasste sich jedoch wieder und fuhr im Flüsterton fort: „der Mann heißt Bosser, nicht Besser!“
Dr. Stücker schnupperte.
„Riecht es hier nach Gas“, flüsterte sie.
„Quatsch“, antwortete Dr. P unwirsch.
„Ich hab nach Captain Markus Besser gesucht“, verteidigte sich Rainer und nestelte eine Zigarre aus seiner Hemdtasche.
„Gesucht vielleicht“, ließ Dr. P seinen mysteriösen Vertrauten nicht so leicht davonkommen, „aber nicht gefunden!“
„Ich meine ja nur mal“, warf Dr. Stücker ein, „nur weil einem etwas als sicher verkauft wird, muss es noch lange nicht sicher sein, das wissen Sie doch wohl am besten. Und diese Kreuzfahrtluftschiffe sind meines Erachtens einfach…“
„Für Grundsatzdiskussionen haben wir jetzt keine Zeit, Zimtsternchen“, unterbrach Dr. P, „wir haben augenblicklich andere Probleme! Unser Mann ist nämlich nicht unser Mann!“
Ein beunruhigendes Rumoren ertönte, woraufhin die flackernde Glühbirne zu zittern begann.
„Haben Sie mich gerade Zimtsternchen genannt“, hakte Dr. Stücker beleidigt nach.
Die berühmte Erfinderin liebte es nicht, während eines Auftrags mit ihrem zweiten beruflichen Standbein konfrontiert zu werden. Unter dem Künstlernamen Cinnamon Star tanzte sie regelmäßig im BH zu fremdartiger Musik, doch das gehörte schließlich nicht hier her.
„Wie jetzt“, fragte der Technikspezialist orientierungslos, „Besser, Bosser?“
Dr. P holte tief Luft und ließ den Hängeschrank los.
„Unser Captain ist der falsche Captain“, erklärte er verärgert, fuhr sich mit den Fingern durch sein wirres Haar und legte drohend die Stirn in Falten, „das ist nicht Captain Markus Besser, mit dem ich unsere Pläne unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen vervollständigt habe, sondern ein gewisser Markus Bosser, über den wir überhaupt nichts wissen, der nicht eingeweiht ist und vermutlich auch nicht vertrauenswürdig.“
„Das ist aber schlecht“, resümierte der Technikspezialist.
„ACH WAS“, donnerte Dr. P, der eindeutig zum Cholerikertum neigte.
„Mit so was konnte ja wohl keiner rechnen“, rechtfertigte sich der Vertraute, „dass es einen Captain Markus Besser und einen Captain Markus Bosser gibt!“
„Wenn mich noch einmal jemand Zimtsternchen nennt“, warnte Dr. Stücker.
„Dann“, erkundigte sich der Technikspezialist neugierig.
„Dann hau ich ihm eine rein“, behauptete Dr. Stücker.
„Ich sage ja immer“, schaltete sich Dr. Ps Vertrauter ein, „Frauen sollten zu Hause bleiben und uns nicht ständig nachzueifern versuchen.“
„Du“, wisperte Dr. P scharf und zeigte mit dem Finger auf Rainer, „solltest lieber mal versuchen, deinen Aufgaben nachzueifern!“
„Ich würde doch meinen, dass ich es im Leben weiter gebracht habe als Sie“, wandte sich Dr. Stücker blasiert an den Vertrauten, „was sind Sie noch mal von Beruf? Fleischer?“
„Nicht ich“, korrigierte der Vertraute, „meine Eltern.“
„Aha“, sagte Dr. Stücker.
„Ich will mich ja nicht einmischen“, bemerkte der Technikspezialist, „aber in einer halben Stunde landen wir.“

Über der Stadt lag dünner, weißlicher Nebel und vermischte sich unansehnlich mit dem allgegenwärtigen staubgrauen Rauch. Knorrig ragten die eisernen Verstrebungen der neugotischen Kathedrale in den Himmel, weiter östlich erstreckte sich das schwarz erscheinende Fabrikgelände. Aus der Höhe ließen sich die Menschen nur als dunkle Punkte wahrnehmen, mit ein bisschen Phantasie waren sogar die Farben der ausladenden Kleider der Damen zu erkennen. Schaulustige warteten auf die Landung der Earl of Rochester, des spektakulärsten Kreuzfahrtluftschiffs, das je gebaut worden war.
Dr. Stücker wandte sich von dem kleinen, quadratischen Fenster ab und rieb sich unruhig die Hände. Der Gang im unteren Deck des Schiffes war beklemmend eng, nur spärlich beleuchtet und kalt. Unmittelbar vor der geheimen Versammlung lag die Schleuse zur Steuergondel.
„Wir müssen ihn erpressen“, murmelte Dr. P und rieb sich nachdenklich das Kinn.
„Gute Idee“, fand der Technikspezialist, „aber womit?“
„Das ist eine Katastrophe“, sagte Dr. P und bedachte seinen Vertrauten mit einem bösen Blick.
Der Vertraute zog gemächlich an seiner Zigarre und tat so, als sei er nicht gemeint.
„Ich würde hier vielleicht lieber nicht rauchen“, riet Dr. Stücker, „findet denn niemand außer mir, dass es schon die ganze Zeit nach Gas riecht?“
„Also, ich würde eher sagen“, erwiderte der Technikspezialist, „es riecht nach Zigarette.“
„Zigarre“, sagte der Vertraute.
„Nein, Zigarette“, beharrte der Technikspezialist und drehte sich um.
Dr. Stücker drehte sich ebenfalls um.
„Da raucht noch einer“, stellte sie fest.
„RAINER“, regte Dr. P sich sofort wieder auf, „du hast doch gesagt, der Gang wird nur vom Kapitän und den Steuermännern benutzt!“
„Ja“, bestätigte der Vertraute, „dachte ich ja auch!“
Die rauchende Gestalt regte sich und schien zu erschrecken.
„Ich glaube, er hat uns gesehen“, sagte der Technikspezialist.
„Oder gehört“, sagte Dr. Stücker und warf Dr. P einen abfälligen Blick zu.
„Rainer“, begann Dr. P mit der Formulierung einer glasklaren Anweisung, „geh hin und bring ihn hier her, wir können nicht riskieren, dass hier gleich eine lustige Soirée stattfindet!“
„Eine was“, fragte der Technikspezialist.
„Eine Abendgesellschaft“, antwortete Dr. Stücker.
Der Vertraute schlenderte los.
„Schneller“, rief Dr. P ihm wütend nach.
„Vielleicht ist es ja ein… Steuermann“, überlegte der Technikspezialist unsicher.
„Unwahrscheinlich“, erwiderte Dr. P.

Der Raucher war nicht besonders argwöhnisch und folgte dem Vertrauten widerstandslos.
„Was hätten wir getan, wenn er nicht mitgekommen wäre“, fragte Dr. Stücker hinter vorgehaltener Hand.
„Dann hätte Rainer ihn platt gemacht“, gab Dr. P Auskunft.
„Wie bitte“, fragte Dr. Stücker.
„Er hat besondere Fähigkeiten“, erläuterte Dr. P und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Noch zwanzig Minuten bis zur Landung“, vermeldete der Technikspezialist.
„Wie schön für ihn, wo es um seine geistigen doch so dürftig bestellt ist“, versetzte Dr. Stücker übellaunig.
„Spirituelle“, ließ Dr. P sich nicht aus dem Konzept bringen, „er kann einen Menschen bewusstlos starren. Und Schlimmeres. Das möchte ich einer Dame gegenüber aber lieber nicht detailliert ausführen. So, Freundchen“, wandte er sich übergangslos an den Neuankömmling, „was machen Sie hier?“
„Ich“, sagte der Raucher, „habe eine geraucht. Das darf man oben nicht.“
„Wegen des Gases“, ergänzte Dr. Stücker altklug, „und der Brandgefahr.“
Der Raucher sah eigentümlich aus, über Hemd und Weste trug er ein sonderbar glitzerndes Jackett.
„Und – sonst“, fragte der Technikspezialist.
„Was“, fragte der Raucher zurück.
„Was machen Sie sonst“, präzisierte der Technikspezialist.
„Ach so“, sagte der Raucher, „ich bin Schlagzeuger. Bei den Roaring Rochesters. Sie wissen schon, die Schiffsband.“
„Oh“, sagte Dr. Stücker.
„Name“, fragte Dr. P im gewohnten Befehlston.
„Spalink“, sagte der Schlagzeuger, „Gerwin.“
„In Ordnung, Spalink“, sagte Dr. P, „wir haben hier…“
„Ihr könnt auch einfach Gerwin sagen“, sagte Gerwin.
„Sie“, berichtigte Dr. Stücker.
„Oh“, sagte Gerwin, „Verzeihung. Sie.“
„Hören Sie, Gerwin“, nahm Dr. P den Faden wieder auf, „wir haben hier ein kleines Problem. Und wenig Zeit. Das Wichtigste ist, dass Sie alles, was Sie gleich erleben werden, für sich behalten, haben Sie das verstanden? Andernfalls würden Sie sich keinen Gefallen tun.“
Der Schlagzeuger nickte eingeschüchtert.
„Noch siebzehn Minuten“, sagte der Technikspezialist.
„Wir gehen jetzt da rein“, beschloss Dr. P, „und klären den falschen Besser über unsere Absichten auf. Rainer, du bleibst in meiner Nähe, damit du sofort handeln kannst, falls nötig.“
„Jaja“, sagte der Vertraute. Es klang lustlos.
„Haben Sie denn den Code“, erkundigte sich der Schlagzeuger vorsichtig.
„Natürlich haben wir den Code“, brüstete sich Dr. P, „Rainer, tipp den Code ein!“
Neben der Schleuse leuchtete schwach ein Messingfeld mit elfenbeinernen Tasten.
Rainer begann zu tippen.
„Wenn der den richtigen Code recherchiert hat, geb ich einen aus“, verkündete Dr. Stücker. Dann drehte sie sich zum Schlagzeuger um. „Sagen Sie mal, Gerwin, finden Sie eigentlich, dass es hier nach Gas riecht?“
Gerwin schnupperte. „Eigentlich nicht“, sagte er.
„Hm“, machte Dr. Stücker unzufrieden.
Da öffnete sich die Schleuse quietschend und gab den Blick auf einen weiteren schmalen, durch vereinzelte Öllampen erleuchteten Gang frei. Das Tor am anderen Ende öffnete sich ebenfalls.

„Captain Bosser“, fragte Dr. P und zog theatralisch seine Waffe.
Captain Bosser fuhr zusammen. Er war allein in der Steuergondel.
„Nicht ablenken lassen“, fügte Dr. P hinzu. Durch die breiten Fenster wurde die Höhe, in der sich sie noch immer befanden, sehr anschaulich deutlich.
„Fragen Sie nicht, wer wir sind“, kommandierte Dr. P, „tun Sie einfach, was ich Ihnen sage!“
Der Kapitän des spektakulärsten Kreuzfahrtluftschiffes, das je gebaut worden war, wäre nicht der Kapitän des spektakulärsten Kreuzfahrtluftschiffes, das je gebaut worden war, wenn er nicht vor Schneid und Mut nur so gestrotzt hätte. Captain Bosser richtete sich würdevoll auf.
„Ich weiß, wer Sie sind“, gab er zurück, „Sie sind Dr. P, der unseriöse Esoteriker!“
„Verschwörungstheoretiker“, berichtigte Dr. P.
Captain Bosser hob skeptisch eine Braue.
„Ich halte überhaupt nichts von Ihren Machenschaften“, erklärte er.
„Das ist mir egal“, entgegnete Dr. P, „wir haben nur noch wenig Zeit! Und deshalb schließen Sie jetzt diesen…“ Er sah sich suchend in der Gondel um. Es wimmelte vor Dioden, Kabeln, Hebeln und Schubladen. „Diesen Kasten da auf“, vervollständigte Dr. P sein Anliegen und deutete auf eine mit Intarsien verzierte Schatulle.
„Warum sollte ich das tun“, fragte Captain Bosser unbeeindruckt.
„Weil ich Ihnen sonst das linke Ohr wegballere“, sagte Dr. P.
„Beziehungsweise weil Rainer Sie sonst bewusstlos starrt“, murmelte Dr. Stücker, „oder Schlimmeres.“
„Das können Sie sich nicht leisten“, blieb Captain Bosser standhaft und schob lässig die Hände in die Taschen seiner Uniform, „denken Sie doch mal an Ihren Ruf.“
„Noch zwölf Minuten“, sagte der Technikspezialist.
„Was ist denn in dem Kasten“, raunte der Schlagzeuger.
„Ha! Hier geht es um eine wissenschaftliche Sensation, die uns die Regierung vorenthalten will“, skandierte Dr. P wichtig, „also los, gehen Sie einen Schritt zur Seite, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!“
Captain Bosser rührte sich nicht.
„Soll ich ihm eins überbraten“, fragte der Schlagzeuger, „damit rechnet er nicht!“
„Gute Idee“, fand Dr. Stücker, „los, wir tauschen schnell die Plätze.“
Und dann ging alles sehr schnell. Captain Bosser sackte besinnungslos in sich zusammen, der Schlagzeuger fing ihn elegant auf, während sich Dr. Stücker bereits an Bossers Schlüsselbund zu schaffen machte. Dr. P seufzte erleichtert und steckte die Waffe ein.
„Und wer“, fragte der Vertraute in die plötzliche Stille hinein, „führt jetzt die Landung durch?“
„Lasst mich mal sehen“, sagte der Technikspezialist, warf effektvoll seine Haare über die Schulter und schob sich an Dr. Stücker und dem Schlagzeuger vorbei.
„Mach ruhig langsam“, sagte Dr. P und wirkte auf einmal sehr müde. „Haben Sie den Schlüssel“, wandte er sich an Dr. Stücker.
Dr. Stücker nickte.
„Der muss es sein, laut Beschreibung“, erläuterte sie.
Der Schlüssel war ein zierliches, glänzendes, silberfarbenes Meisterwerk der Schmiedekunst. Geräuschlos glitt er in das Schloss der Schatulle. Als Dr. Stücker den Deckel öffnete, hielt die geheime Versammlung ehrfürchtig den Atem an.
„Das ist sie“, sagte Dr. Stücker und musste sich räuspern, „die Zeitreisemaschine.“
„Ich hatte also recht“, fügte Dr. P selbstgefällig hinzu, „und die Regierung wollte sie außer Landes schmuggeln. Als wäre diese Errungenschaft der Technik nicht ein Allgemeingut!“
„Aber erst mal ist sie unser Gut“, entschied Dr. Stücker, „außerdem wissen wir noch nicht, ob sie funktioniert.“
Das Schiff neigte sich, dann knarrte es, ein schleifendes Geräusch durchschnitt die Luft und ein Ruck ging durch die Gondel.
Der Technikspezialist legte einen Hebel um. Er machte einen mitgenommenen Eindruck. „Wir sind gelandet“, erklärte er, „ich hab uns runtergeholt. Lebend.“
Dr. Stücker sah sich um.
„Nicht, dass jetzt doch noch was explodiert“, gab sie sorgenvoll zu bedenken.
„Passt auf“, fand Dr. P allmählich zu seiner alten Form zurück, „ihr zwei“, er wies auf Gerwin und den bewusstlosen Captain Bosser, „tauscht mal schnell die Klamotten. Gerwin, Sie spielen vorübergehend den Captain, das heißt: winken, grüßen, Sie wissen schon. Den hier“, er gestikulierte in Richtung des Captains, „nehmen wir mit. Und dann treffen wir uns…“ Er kramte einen Zettel aus der Tasche, „hier. Da steht es. Und versuchen Sie bloß nicht, abzuhauen. Sonst…“
„Schon gut“, erwiderte Gerwin, „ich weiß.“

Durch die hohen, vergitterten Fenster waren die halb verfallenen angrenzenden Gebäude zu sehen, eine Frau schlich mit gesenktem Kopf und einem Korb in der Hand barfuß über das lehmige Kopfsteinpflaster. Es war eine arme Gegend, seitdem die Regierung die sozialen Mittel gekürzt hatte. In der Dämmerung wirkte die Stadt noch trostloser. 
„Regelrecht apokalyptisch“, beschrieb der Technikspezialist die Szenerie.
Das alte Labor, in dem sie sich befanden, war in einem vergleichsweise guten Zustand, im Kamin hatte sich rasch ein Feuer entzünden lassen und der Schein der Kerzen auf dem Tisch aus massivem Holz gespensterte zuckend über die rußigen Wände und beleuchtete schemenhaft die Regale voller Flaschen, Reagenzgläser, Tiegel und Apparaturen.
Dr. Stücker beugte sich über das Gerät auf dem Tisch, das entfernt einer Spieluhr ähnelte.
„Wenn ich keinen Fehler gemacht habe“, sagte sie, „müsste die Maschine jetzt bereit sein.“
„Ich kann mir das gar nicht vorstellen“, warf Gerwin ein, „so eine Zeitreise.“
„Ist technisch aber möglich“, sagte der Technikspezialist.
„Also los“, beschloss Dr. P, „probieren wir es aus.“

Ungesundes, grellweißes Licht blendete die geheime Versammlung. Es war kein Tageslicht, sondern wurde von einer schmalen Leuchtröhre abgesondert, die an der Decke des Raumes angebracht war. Die einfachen Tapeten waren gelb gestrichen, zur Rechten erstreckte sich eine rustikale Bar. Der Boden war komplett mit einer Art dunklem, kratzigen Teppich ausgelegt, in der Ecke stand ein Schlagzeug. An der Wand lehnten mehrere Gitarren und etwas, das an eine Orgel erinnerte. Überall verliefen Kabel und es türmten sich schwer zu beschreibende Gerätschaften an den Wänden.   
„Was zur Hölle…“, stöhnte Dr. P.
Neben ihm stöhnte noch jemand.
„Verdammt“, rief Dr. P, „der falsche Captain! Wieso ist der auch hier?“
„Mir ist schlecht“, murmelte Captain Bosser.
Dr. Stücker griff sich an die Stirn.
„Offenbar werden alle anwesenden Menschen durch die Zeit transportiert“, analysierte sie, „aber keine Gegenstände.“
Dr. P setzte sich alarmiert auf.
„Keine Gegenstände“, fragte er, „keine Gegenstände? Wo ist die Maschine? Wie sollen wir wieder zurückkommen?“
Panisch zog er sich an der Bar hoch und drehte sich einmal im Kreis.
„Wo sind wir“, fragte er, „oder besser gesagt: wann?“
„Find ich ja irgendwie verrückt, dass da ausgerechnet ein Schlagzeug steht“, fand Gerwin.
„Und ich kann ein bisschen Klavier“, fiel dem Vertrauten bei diesem Stichwort und angesichts der Orgel ein.
„Das tut doch jetzt überhaupt nichts zur Sache“, erklärte Dr. P verzweifelt.
„Haben Sie nicht mal gesagt, Sie spielen Gitarre“, fragte Dr. Stücker.
„Was“, fragte Dr. P irritiert zurück.
„Wir könnten wirklich ein bisschen Musik machen, das beruhigt“, griff der Technikspezialist das naheliegende Thema auf, „ich kann Kontrabass.“
„Spielen Sie auch ein Instrument“, erkundigte sich Dr. Stücker beim Captain, der noch immer auf dem Boden hockte.
„Violine“, antwortete er verwirrt.
„Perfekt“, fand Dr. Stücker.
„Wenigstens sind wir erst mal weg von zu Hause, da geht ja sowieso alles den Bach runter“, versuchte der Technikspezialist es mit positivem Denken.
Dr. Stücker drückte Dr. P eine Gitarre in die Hand.
„Was ist das für ein Kabel“, fragte er.
„Das finden wir später heraus“, antwortete Dr. Stücker, „ich bin, ehrlich gesagt, auch erst mal froh, dass wir zu Hause für den Moment hinter uns haben. Obwohl es ziemlich wahrscheinlich ist, dass hier irgendwann ebenfalls alles den Bach runtergeht, wo beziehungsweise wann auch immer wir sind. Wenn es nicht schon längst so weit ist. Was halten Sie von dieser Idee“,  fragte sie und begann leise eine Melodie anzustimmen, „The streets are empty now, you’ve come a long way down, all meaningless and old, worn tired and dried out…“

= ENDE =